Der Lebenskreis unserer Vorfahren

Aus den Berichten von Joseph Friedrich Lentner

Über die Landleute hatten die „Städterer“, die Studierten im 19. Jahrhundert, eine nicht gerade hohe Meinung, wie ein Reisebericht um 1850 aus unserem Gebiet bezeugt. Schildert dieser Reisende, Joseph Friedrich Lentner, die Leute in den Gerichtsbezirken Aichach und Schrobenhausen allgemein als roh und verkommen, aber auch als zähe Arbeiter, so geht er mit dem Rainer Bereich milder um: „Westwärts gegen den Lech hin zeigt sich durch den Verkehr mit Schwaben etwas mehr Sinn und Lust für Belehrung und Denken. Auch wird die Rohheit gemildert durch die große Gutmütigkeit und Verträglichkeit, die zum Teil in der gleichmäßigen Wohlhabenheit der Leute ihren Grund hat.“

Die Stadel waren fast durchweg Holzbauten mit hochgiebeligen Strohdächern und überhöhten Tennentoren, sogenannten „Froschmäulern“ (in Feldheim bis in jüngster Zeit vorhanden). An den Wohnhäusern waren meist Erkerausbauten angebracht und ein Nebenbau für die Pfründner (Austrägler) angehängt. Größere Höfe standen auf einer erhöhten Grundmauer und eine doppelte Freitreppe von einigen Stufen führte zur Haustür. Als Torbogen der Hofräume sind die breiten Taubenschläge beliebt. An allen Häusern zeigt sich eine etwas bessere Reinlichkeit.

„Eine eigentümliche Erscheinung im Rainer Gericht sind die sogenannten weiten Brunnen, Schöpfbrunnen auf freiem Feld, gewöhnlich im Schatten von ein paar einzelnen Bäumen oder Gesträuch zum Besten der Arbeiter“, berichtet Lentner. (Für Rain hat sich die Flurbezeichnung „Beim weiten Brunnen“ bis in unsere Tage erhalten.)

Bei den Hausbräuchen schreibt Lentner noch: Die Flegel- und Drischelhenk nach beendetem Dreschen und Kornschnitt bringen auch hier ein besseres Mahl mit sich. Allgemein üblich ist das Gehen zum Kammerfenster.

Die Berichte des Dr. Johann Baptist Wolff von 1858 - 1861

Ab 1803 wurden an allen Landgerichtssitzen in Bayern, so auch in Rain, Physikatsstellen eingerichtet und waren gleichsam die Vorläufer der heutigen Gesundheitsämter. Die Gerichtsärzte erhielten die Aufsicht über die Apotheker, Bader, Hebammen und Tierärzte. Zu ihren Aufgaben gehörten unter anderem die Bekämpfung der Menschen- und Tierseuchen, die Durchsetzung der hygienischen Vorschriften sowie die damals einführte Pockenschutzimpfung. Die Armen mußten sie unentgeltlich behandeln, von den übrigen Personen sollten sie Honorar fordern. Ihr Gehalt war deshalb mit 600 fl relativ niedrig; der ranggleiche Landrichter verdiente das Doppelte. Zuständig war dieser einzige Arzt im Gerichtsbezirk von Rain bis Pöttmes und Thierhaupten, nicht aber für Burgheim. Durch Dorfbegehungen, Hausbesuche und Viehbeschauen gewannen sie besten Einblick in die Lebensverhältnisse der Menschen. Der Rainer Gerichtsarzt Dr. Johann Baptist Wolff, von 1844 bis zur Pensionierung im 71. Lebensjahr anno 1867 im Amt, fertigte entsprechend der Weisung des Staatsministeriums des Innern von 1858 bis 1861 vier Jahresberichte, die für das 19. Jahrhundert die beste Quelle bezüglich der Lebensverhältnisse in den Dörfern um Rain sind.

Die Berichte reichten über eine medizinische Erhebung weit hinaus, sie waren ein Abbild der Lebensverhältnisse auf dem Land. Sie schilderten das Land, den Menschenschlag, Wohnverhältnisse, Kleidung, Ernährung, soziale Schichtung, Hygiene, Feste, Ehe, Schwangerschaft, Bildung und Religiosität.

Wie beschreibt Dr. Wolff das Rainer Umland? An den zahlreichen aus dem Hügelland in die fruchtbare Ebene fließenden Bächen steht eine große Zahl von Mühlen. Allein an der Kleinen Paar zählte er zwölf von Osterzhausen bis Staudheim, darunter Außer- und Untermühle Bayerdilling. Den Boden bezeichnet er allgemein als fruchtbar, das Klima im allgemeinen als günstig. Die Luft ist rein und gesund, wenn auch die häufigen Nebel störend auf die Gesundheit einwirken und „Catarrhe, Rheumatismen und Wechselfieber“ erzeugen. Mit Wechselfieber ist die heute nur noch als Tropenkrankheit bekannte Malaria gemeint. Sie war im 19. Jahrhundert in moorreichen Flußniederungen ganz Europas verbreitet und konnte erst in den 1960er Jahren ganz ausgerottet werden. Gerade der Unterlauf des Lech mit vielen Altwässern und Tümpeln war eine ideale Brutstätte für die Anopheles-Mücken, den Überträgern des Malaria-Erregers. In den Dörfern unmittelbar östlich des Lech war die Krankheit in jenen Jahren dauernd präsent.

80 Prozent der Erwerbstätigen des Gerichtsbezirks waren in der Landwirtschaft tätig; die 18 Prozent Handwerker betrieben größtenteils im Nebenerwerb noch eine Landwirtschaft.

Die Einwohner des Gerichtsbezirkes galten als kräftig gebaut, gesund, gutmütig, verläßlich und treu, aber als derb und grob im Umfang, besonders nach dem Genuß von Bier. Auch der Drang nach Bildung war nicht sehr groß. Die Volksschulen seien zwar in jüngster Zeit so hergerichtet, daß der Unterricht gut und zweckmäßig erteilt wird; aber nach Schulentlassung werde alle Fortbildung vernachläßigt, klagte der Arzt. „Der Jünglinge, die studieren, (Anmerkung: Mädchen war eine weitere Bildung ohnehin verschlossen) sind nur äußerst wenige und diese haben keinen Einfluß auf die Bevölkerung“, schreibt er weiter. Man verlege sich auf die Bauernarbeit und selbst Handwerker, die in der Fremde gearbeitet und „Artigkeit und Geschicklichkeit“ mit nach Hause bringen, fallen alsbald wieder in den alten herkömmlichen Schlendrian. Wer wirklich einmal nach Höherem strebt, sucht sein Heil außen, verlasse die Heimat, stellte Dr. Wolff fest und faßt zusammen, von einem geistigen Fortschritt könne keine Rede sein.

Die Bevölkerung war rein katholisch, lediglich in der Stadt Rain gab es vier „Protestanten“. Zur Religiosität berichtet er: „Das Volk hält sich scheinbar streng an die Ceremonien und Gebote der katholischen Religion, geht fleißig in die Kirche, und verrichtet auch zu Hause seine Andachtsübungen und damit stimmen auch die übrigen Handlungen der Meisten überein. Aber bei Manchen scheint es so nicht recht Ernst im Herzen zu seyn; denn man hat schon Fälle erlebt, wo Morgens gewallfahrtet, gebeichtet und communicirt, Mittags bis spät in die Nacht die Wirthshäuser besucht, Feindseligkeiten ausgeübt, und beim Nachhausegehen gerauft wird ...“ Verbreitet war der Aberglaube, wie noch bis weit in unser Jahrhundert: „So z. B. glauben sie noch an Hexen, die an Menschen und Vieh die verschiedenartigsten Schäden anrichten können, an Mittel, wodurch man unsichtbar und schußfest machen kann. Im Stalle wird ein Bock gehalten, damit der Schwarze das andere Vieh nicht zu Grunde reite, und dergleichen Unsinn mehr.“

Ehen wurden gewöhnlich meist aus finanziellen Gründen und am wenigsten aus gegenseitiger Neigung eingegangen. Dr. Wolff bemerkt weiter: „Hang zur Ehelosigkeit kommt hier selten oder gar nicht vor, ... aber wohl einige Solche, welche die Ehe aus Furcht vor einer unglücklichen Wahl in Beziehung auf zu geringe Vermögensverhältnisse oder zweifelhaften Charakter des Gegenstandes („Heiratsgegenstand“) bis ins 40ste Lebensjahr verschieben“.

Unvorstellbar bedrückend war die Kindersterblichkeit: unter den im Jahr 1858 Gestorbenen waren fast 47 Prozent Kinder (Oberbayern gesamt: 43 Prozent). Solche Sterberaten kamen sonst nur unter schlechten hygienischen Verhältnissen vor. Als hauptsächliche Todesursachen der Kleinkinder sind Konvulsionen genannt, das sind krampfartige Erscheinungen. Ursache dürften meist Magen- und Darmerkrankungen aufgrund fehlerhafter oder ungenügender Ernährung gewesen sein. Bei Kindern wie auch bei Erwachsenen wurde selbst bei ernsten Erkrankungen meist kein Arzt herangezogen; bei den Verstorbenen des Jahres 1858 waren 41 Prozent nicht ärztlich behandelt worden. Eine zeitgenössische Quelle klagt über den Fatalismus gegenüber lebensbedrohenden Krankheiten, insbesondere wenn sie bei Kleinkindern auftraten: „Erkrankt ein Kind, so sucht man in der Regel keine ärztliche Hilfe, teils weil man glaubt, man könne in Krankheiten kleinen Kindern nicht viel helfen, teils weil man sich über ihren Tod leicht tröstet, denn das Kind kommt ja gleich in den Himmel, etwas Besseres kann man ihm nicht geben.“ Noch 1909 waren 46,8 Prozent der Verstorbenen im Bezirksamt Neuburg (mit Rain) unter einem Jahr alt; als Todesursachen sind hauptsächlich allgemeine Lebensschwäche und Krankheiten der Verdauungsorgane angegeben. Buben waren stärker als Mädchen vom Säuglingstod bedroht.

Zur „Sittenlosigkeit“ und den unehelichen Geburten schreibt Dr. Wolff: „Wenn auch die Polizei noch so strenge ist, so unterbleibt doch das häufige Kammerfenstern nicht, und die Zahl der unehelich Geborenen gibt offenes Zeugnis hiervon.“ Der Rainer Bezirk lag mit einem Sechstel unehelicher Geburten im Jahr 1860 jedoch deutlich unter dem oberbayerischen Durchschnitt (ein Viertel).

Die Wohnungsverhältnisse bezeichnet Dr. Wolff allgemein als gut. Die meisten Wohnhäuser waren in den Dörfern einstöckig, meist nur Pfarrhöfe und Wirtshäuser zweistöckig. Die besseren Häuser waren aus Ziegel, „dagegen sind die Häuser der ärmeren Klasse, wenn auch teilweise von Ziegelsteinen, doch meist von Holz und manchmal mit Lehmen ausgefüllt“, fährt Dr. Wolff fort. Gedeckt waren die Häuser mit Ziegeln oder Stroh, die Nebengebäude und Stallungen hatten durchwegs Strohdächer. Das Dach war, durch die Strohdeckung bedingt, relativ steil. Die Fenster und Türen waren relativ klein, die Fensterläden farbig angemalen, meist rot oder grün. Bei den größeren Anwesen stand das Haus getrennt vom Wirtschaftsteil, bei den Söldnern und Kleinhäuslern befanden sich Wohnung und Stall unter einem Dach, in der Mitte getrennt durch eine Tenne. Bei kleineren Gütern waren die Wirtschaftsgebäude überwiegend als hölzerner Anbau an das Wohnhaus ausgeführt. Der Gebäudebestand jeder einzelnen Hofstätte ist in der Fassion von 1810 ausgewiesen (größtenteils ist dies im Kapitel „Anwesensgeschichte“ wiedergegeben).

Zentral in der Hofanlage lag der Misthaufen, meist muldenförmig zwischen Haus, Scheune und Stallungen, um die Jauche ansammeln zu lassen. Der Bauer sage, dieser Haufen sei seine Goldgrube, die er nicht entbehren oder entfernen könne, berichtet der Arzt. Oft war auf oder neben dem Misthaufen der Abtritt in Gestalt einer kleinen Bretter- oder Strohhütte angebracht - eine Situation, die auf den Dörfern noch bis in die frühen 1970er Jahre unseres Jahrhunderts geläufig war. Für die Trinkwasserversorgung aus damals ausschließlich flachen Pumpbrunnen war die Nähe zum Misthaufen alles andere als günstig.

Zur Inneneinrichtung der Häuser schreibt Dr. Wolff: „Die Zimmer der Wohlhabenden (zu denen er 1,3 Prozent der Einwohner zählt, also Gutsbesitzer) sind hoch und geräumig mit gut konstruierten Fußböden, die Fenster meist hoch und der Höhe des Hauses angemessen, die Vorplätze entweder gebrettert oder mit Quadersteinen gepflastert und ebenso die Küche. Die Zimmer der Mittelklasse (etwa 85 Prozent der Bevölkerung) sind schon kleiner und niedriger, so wie auch die Vorplätze und Küchen entweder gebrettert oder mit Backsteinen gepflastert. Die Stuben und Fenster der Ärmeren (dazu zählt der Arzt 12 Prozent der Einwohner) noch enger, kleiner und niedriger, die Fußböden schlecht und oft gar nicht gebrettert, sondern wie die Vorplätze mit Lehmen ausgeschlagen. Zudem wird noch in diesen engen und niedrigen Wohnstuben Jahr aus Jahr ein für das Vieh Futter gekocht und selbst junges Vieh, Hühner, Gänse, Schweinchen darin erzogen, und dadurch, obwohl schon der Luftcubus für die Bewohner wegen der engen Räumlichkeit sehr sparsam ist, die Luft zum Einatmen noch mehr verdorben. Diesem Übelstande wurde jedoch bei mehreren Gemeinden wenigstens in den Hirtenhäusern, wo manchmal Kranke untergebracht werden müssen, in den letzten Jahrgängen dadurch abgeholfen, daß die Zimmer gebrettert werden mußten und kein Vieh mehr darin gehalten werden durfte.“ Der Arzt klagt weiter, daß die Besitzer so eines ärmlichen Hauses trotz Belehrung keine Abhilfe schaffen.

Zu den Schlafstätten schreibt der Arzt: „Die Mittelklasse hat gewöhnlich ein Bett in der Wohnstube und die andern in den Kammern oder auf dem Boden und ihre Betten, wenn auch lauter Federbetten, sind von geringerer Qualität. Die Lagerstätten der ärmeren Klasse sind meist ähnlich, schlechte Unterbetten, oft nur Stroh, schlechte Oberbetten oder nur einfache wollene Decken. In der Wohnstube ist gewöhnlich das beste Bett, die übrigen befinden sich in Bodenkammern oder unterm freien Dache. Die Knechte haben gewöhnlich selbst bei den Wohlhabenden ihre Lagerstätten in den Ställen bei ihren Pferden oder Ochsen in einem hölzernen Verschlage, oder einer freien Ecke. Die Beschaffenheit ihrer Betten richtet sich nach der Wohlhabenheit der Herrschaft. Die Lagerstätten der Mägde sind von derselben Beschaffenheit, und befinden sie sich nicht in den Ställen, sondern in Kammern oder auf dem Boden unterm freien Dache. Das Leben der Dienstboten war so völlig unromantisch. In einer Stallecke oder auf dem zugigen Dachboden zu schlafen, wo im Winter die Kälte alle Glieder erstarren ließ, war nicht angenehm. Kein Wunder, daß viele Dienstboten versuchten, ihren Status zu verbessern, sei es durch Heirat oder durch Abwanderung in die Städte.

Über die Reinlichkeit der Häuser schreibt der Arzt positiv: „Wenn man an Sonn- und Feiertagen in ein Haus kommt und die Lokalitäten besieht, so sieht man alles frisch gereinigt; häufig findet man dieses auch bei der ärmeren Klasse und man hat nur wenige Liederliche gefunden, bei denen der Schmutz aufgehäuft liegen bleibt, und nur alle hohen Festtage einmal weggescheuert wird. Was die Wäsche und Kleidung anbelangt, so eifert schon der Luxus, der bei der Bevölkerung überhaupt eingerissen ist, zur Reinhaltung derselben an...“

Bei der Körperpflege ist das Urteil vernichtend: „Wenn man von den Vernünftigeren und Gebildeten absieht, so träfe man unter ihnen Bauern und Bäuerinnen, Söhne und Töchter, Knechte und Mägde, in deren Gesichtern, auf deren Hälsen, Nacken und Armen der Schmutz wie eingerostet liegt, so daß man glauben müsse, daß sie sich nicht einmal alle hohen Festtage waschen; und gebadet haben sie sich in ihrem Leben noch nicht, höchstens hie und da ein Fußbad genommen.“

Wie sah der Speisezettel der großen Masse der Landbevölkerung aus? Obenauf standen Mehlspeisen, die überall reichlich gegeben und auch meist gut zubereitet wurden. Rohr- und Dampfnudeln standen fast alle Tage auf dem Tisch und wurden mit Sommer- oder Rübenkraut verzehrt. Frisches Rindfleisch kam höchstens an hohen Festtagen - Ostern, Pfingsten, Kirchweih und Weihnachten - auf den Tisch; die meisten Kranken vertrugen deshalb die vom Arzt verordnete Fleischbrühe nicht. Um das Fleisch über einen längeren Zeitraum aufbewahren zu können, wurde es meist geräuchert. Zunehmende Bedeutung erlangte im 19. Jahrhundert die Kartoffel, deren Anbau seit der Hungersnot von 1816/17 stark forciert worden war. - Da insgesamt zu wenig eiweißreiche und zu viel stärkehaltige Speisen gegessen wurden, waren Erkrankungen des Magen- und Darmtraktes sehr häufig. Insbesondere die Säuglinge litten unter der einförmigen Ernährung mit Mehlmus - selten wurden sie gestillt. Sehr beliebt und sehr ungesund gleichermaßen war der Schnuller - meist ein aus Mehlteig gefertigter Wecken, der in Zuckerwasser oder Milch eingeweicht wurde und mit einem Leinwandfleck umhüllt war. Er war häufig so groß gemacht, daß er zwei bis drei Tage herhielt, so daß er zur Keimzelle für Krankheitserreger wurde und zuletzt in Säure überging. Entzündungen im Mund- und Halsbereich und Magen- und Darmerkrankungen - letztere waren Hauptursache für die hohe Kindersterblichkeit - waren die logische Folge. Alle Ermahnungen der Ärzte in Richtung Stillen nutzten nichts: „Allein die eingefleischte Gewohnheit, Hartnäckigkeit und Eitelkeit der Mütter lassen die Abstellung dieser Übelstände durchaus nicht zu“, klagt Dr. Wolff. Was er verschweigt ist, daß dem Stillen oft allein schon die wirtschaftliche Notwendigkeit, die Wöchnerin baldmöglichst wieder zur Arbeit frei zu haben, entgegenstand. Die meisten Schwangeren arbeiteten bis zur Entbindung und die meisten Wöchnerinnen fingen am 4. bis 6. Tag nach der Entbindung bereits wieder mit der schweren Bauernarbeit an. Selbst die Einflußnahme über die Hebammen nutzte wenig, denn der Bauer sagt:“Ich kann mein Weib nicht wie eine Gräfin halten, ich muß eine arbeitsame Hausfrau haben etc.“

Was blieb der Landbevölkerung nach der harten Bauernarbeit noch? Dazu teilt der Arztbericht mit: „Zu den Vergnügungen der hiesigen Bevölkerung gehören Jagd, Scheibenschießen, Tanzmusik, Biertrinken, Kartenspiel, Kegelschieben und Eisschieben. Ihre Feste sind Hochzeiten und Kirchweihen. Zu den besonderen Gewohnheiten könnte man das Tabakrauchen und Schnupfen rechnen, welches von Manchen sehr stark betrieben wird. Andere Gewohnheiten hat man der Bevölkerung nicht abgewinnen können.“

Das Resümee zu der hohen Kindersterblichkeit zieht Dr. Wolff wie folgt: „Haben sie dagegen einmal diese Zeit und die Jünglingsjahre überstanden, werden sie robuste, kräftige Leute, widerstehen allen widerwärtigen Verhältnissen und werden mitunter die ältesten Menschen.“

Trachten

Die Suche nach einer „nationalen“ oder „regionalen“ Tracht, wie sie schon anfangs des 19. Jahrhunderts durch Künstler im Voralpenland begonnen wurde, ist zum Scheitern verurteilt. Allein die aus der Pfarrei erhaltenen Bilder zeigen eine tiefgreifende Wandlung von 1890 bis 1930 und noch mehr in den folgenden Jahrzehnten. Die Festtagskleidung war schon immer modischen Einflüssen von Veränderungen von außen unterworfen, insbesondere bei den Städtern, die es wiederum aus der höfischen Gesellschaft oder aus dem Ausland, etwa aus Frankreich, aufnahmen. Diese Tendenz wurde im 19. Jahrhundert durch verbesserte Produktionsformen, steigende Zahl der Händler und steigende Mobilität noch verstärkt. Der ältere Mensch hielt oftmals an seiner Festtagskleidung fest, der Jüngere nahm neue Einflüsse auf. Deswegen ist es nicht möglich, die Volkstracht des Rainer Winkels zu einer bestimmten Zeit „abschließend“ festzulegen.

Die Trachten anfangs des 19. Jahrhunderts waren farbenfroher und kontrastreicher als 100 Jahre später. Die Bewohner des Bezirks Rain dürften sich ähnlich gekleidet haben wie die Nachbarn im Aichacher Land. Joseph Hazzi berichtet 1802 über unsere Nachbarn: „Ihre Kleidung ist wollen oder leinen. Die Männer tragen Pelzkappen, umwinden den Hals mit einem schwarzen Flor, der Rock ist von schwarzem Zwilch (Anmerkung: ein mit dem doppelten Faden gewebtes Leinentuch, das ein eher grobes Aussehen hat) oder sehr schlechtem blauen oder braunen Tuch, die Weste rot, um den Leib eine lederne Gurte geschnallt, die Beine bedecken schwarze Hosen von Zwilch, die Füße blau baumwollende Strümpfe; den Sommer gehen sie barfuß, selbst die Bürger in Städten. Die Weibsleute tragen weißen Hauben, sogenannte Haupttücher, und darüber zu Zeiten einen schwarz-runden Hut, einen blauen oder schwarzen Ganges(= wohl ein Schultertuch) samt Mieder, einen langen Rock, blaue Fürtücher, blaue Strümpfe.“ Als Besonderheit erwähnt Hazzi lediglich, daß die Frauen im Rainer Bezirk eng zusammengebundene Hauben tragen, die sie Barthauben heißen.

50 Jahre später schreibt Lentner zur Männertracht: „Bei allen bejahrten Männern sieht man noch den Schaufelhut und die Schnallenschuhe; die jüngeren haben den häßlichen eingebogenen Cylinder mit Band und Schnalle um die Mitte des Hutes. Nur etwas flotte Buben haben den modernen geradgupfigen, breitkrämpigen Hut mit der Goldschnur. Lederhose und Faltenstiefel gelten bei Allen. Man sieht Zwilchröcke mit einer Reihe metallener Plattenknöpfe, bei Besseren dunkle Tuchröcke, allgemein rote Leibeln mit 2 Reihen Geldknöpfen. Aus nachgeahmten Münzen sind aber jetzt durch den Luxus echte Goldstücke geworden, für die Röcke verwendet man alte bayerische Halbgulden um Vierziger, für die Weste Zwölfer, Zwanziger, auch 30-Kreuzer-Stücke.“

Der Gerichtsarzt Dr. Wolff (seit 1844 in Rain) berichtet 1858, die altbayerische Tracht sei besonders in Rain und Pöttmes zugunsten des Städtischen fast gänzlich verdrängt worden. Die Bauerntracht auf dem Land sei ziemlich gleich geblieben: „Jedoch sieht man nur wenige Bauern mehr mit ihren alten zwilchenen Kitteln und dreispitzigen Hüten daher kommen. Die wenigsten haben lang zugeschnittene Haare, tragen an Sonn- und Feiertagen kleine runde zugespitzte Filzhüte, tuchern lange Röcke, rote oder braune tuchene Westn mit Knöpfen von 12, 24 oder alten 30 Kreuzerstücken, schwarzlederne Hosen und lange Stiefel, die sie bis über die Knie hinaufstülpen können. Außer der Kirche tragen besonders die ledigen Burschen kurze tuchene und manchesterne Janker und schwarze seidene und wollene Zipfelhauben. Im Winter haben sie langkrägige tuchene Mäntel. Auch fangen sie an, besonders Wirte, Müller, Bäcker und andere Handwerker, eine Art Patelote und Gebirgsjacken zu tragen.“ Interessant ist der Hinweis, daß sich Gebirgsjanker unter der Bevölkerung verbreitet haben, die über den bayerischen Königshof und das höhere Münchner Bürgertum den Weg in das nördliche Oberbayern gefunden haben. Insgesamt nähert sich die Männertracht jenem Aussehen, das wir von alten Bildern noch kennen. Generell ist festzuhalten, daß bei den Männer-, wie auch bei den Frauentrachten der Trend zu dunkleren Farben ging.

Die Frauentracht ist in ihren textilen Einzelbestandteilen sehr viel differenzierter als die Männertracht. Die Rainer Bürgerinnen hatten sehr viel von der städtischen Mode übernommen. Über das Land schrieb Dr. Wolff 1858: „Die Bäuerinnen und Bauernmädchen halten ihre Trachten meistens ein. Die ersten haben ihre runde Pelzhauben, oder schwarze oder weiße hochbödige Florhauben, die Mädchen die sogenannten Bänderhauben. Um den Hals schlingen Weiber und Mädchen seidene und wollene Halstücher, welche sie vorne auf der Brust einlegen, und ziehen darüber ihre tuchene Leibchen. Ihre Röcke sind von wollenem Zeug, rot, braun oder schwarz und stark gefaltet; lederne Schuhe oder Pantoffeln und weiße baumwollene oder verschiedenfarbige wollene Strümpfe ihre Fußbekleidung.“ Über weitere Bestandteile und Accessoires wie Spenzer, Goller, Ärmel, Fürtuch, Schmuck und Muster äußert sich der Arzt nicht. Der einige Jahre vorher durch den Lechrain gereiste Lentner schreibt zur Frauentracht nur kurz: „Die Weiber prangen sonntags mit ihren grünen und roten goldblumigen Gollern und bordierten Rotröcken. Neben den Barthauben sieht man einzelne Pelzhauben, werktags hie und da Kopftücher.“

Die Pelzhauben wurden, wie um 1800, immer noch getragen. Mit der Florhaube ist wohl die von Hazzi erwähnte und im oberen Lechrain und in Schwaben gebräuchliche Barthaube gemeint, die aus einem buntseidenen Nest bestand, von dem zwei Lappen über die Ohren herabhingen und von dem überall blaue breite Bänder herabhingen sowie lange Schleifen zum Binden, weswegen sie auch Bänderhaube genannt wurde. Später wurde das Hinterteil der Haube um das Bödchen ganz steif aufrecht gestellt und das Bödchen luxuriös mit Gold bestickt.

Literatur zu den vorausgehenden Abschnitten:

Joseph Friedrich Lentner, „Bavaria - Land und Leute im 19. Jahrhundert, Oberbayern: Die Landgerichte im Voralpenland“, herausgegeben von Paul Ernst Rattelmüller, Süddeutscher Verlag, München 1988.

Joseph Hazzi, „Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern, aus ächten Quellen geschöpft“, 2. Band, Nürnberg 1802, 335 ff.

Anton Löffelmeier, Die Physikatsberichte für das Landgericht Rain für die Jahre 1857 - 1861 in Oberbayerisches Archiv, 119. Band, München 1995.

Entwicklung der Tracht in Bildern

(Es folgen 20 Bilder mit Erläuterungen, die hier nicht wieder gegeben werden.)

Alltagstracht und -kleidung

(Es folgen 6 Bilder mit Erläuterungen, die hier nicht wieder gegeben werden.)

Hebammen

Theres Weiler, geboren 1837 auf Nummer 4, ging mit ihren Eltern auf Nummer 54 und heiratete 1868 den Joseph Weitz von Holzheim. Als Hebamme hatte sie einen besonders aufopferungsvollen Beruf, gleichzeitig aber einen etwas anderen Lebensweg als die anderen Kleinbäuerinnen. Die Mutter von acht Kindern verlor bereits sechs ihrer Sprößlinge in deren erstem Lebensjahr. Nur zwei Söhne wurden erwachsen. Seit spätestens 1876 war sie als Gemeindehebamme für Bayerdilling und Wächtering tätig. Wurden eheliche Kinder stets vom Vater beim damals begründeten Standesamt angezeigt, so war es bei nichtehelichen Geburten obligatorisch, daß die Hebamme beim Bayerdillinger Bürgermeister vorsprach. So wissen wir, daß Theres Weitz, geborene Weiler, bis August 1900 ihren Beruf ausübte. Sie war damals 63 Jahre alt, den Hof hatte sie zwei Jahre vorher an den Sohn übergeben; keine zweieinhalb Jahre später verstarb Theres Weitz.

Im April 1899 ist bereits von einer Nachfolgerin aus dem Ort die Rede, die aber (offenbar für die Ausbildung) einen Vorschuß von 300 M wollte. Der Gemeinderat lehnte das Ansinnen ab. So wurde Kreszenz Martin aus Kunding, 30 Jahre alt, eine Schwester der „Schleicherin“, bei der sie anfangs auch wohnte, als neue Hebamme eingestellt. Kreszenz Martin heiratete anfangs 1904 den Kleinbauern (später auch Postbote) Benedikt Ehrentreich („Schwappmer“), der acht Jahre jünger war als sie. Kinder gab es aus der Ehe nicht. Kreszenz Ehrentreich, geb. Martin, erscheint vom September 1900 bis 1929 immer dann in den Standesamtsbüchern, wenn es nichteheliche Geburten gab, während des Ersten Weltkrieges aber auch, wenn der Vater im Kriegsdienst war. Kreszenz Ehrentreich gab ihre Tätigkeit mit etwa 60 Jahren auf und starb, 79jährig, am Silvestertag 1948.

Ab 1930 betreuten die Rainer Hebammen die Gemeinde Bayerdilling, im Standesamt sind Franziska Vogel ( ab 1930) und Maria Meier (1936) nachweisbar. Letzte in Bayerdilling tätige Hebamme war Barbara Bauer aus Holzheim (auch am Rainer Krankenhaus tätig). Die letzte Hausgeburt in der Pfarrei war 1967: Markus Reißner ist der jüngste Bayerdillinger, der wirklich noch hier geboren ist. Seit den 1980er Jahren erblicken die Bayerdillinger in der Mehrzahl in Neuburg a.d. Donau das Licht der Welt, teilweise auch in Donauwörth oder Augsburg und vereinzelt in anderen Kliniken der weiteren Umgebung.

Von „Gvaterleut“ und „Daed“

Meist übernahmen bis in die 1920er Jahre nicht verwandte Familien gegenseitig die Patenschaft für Kinder. Erst in jüngster Zeit hat sich dafür das hochdeutsche Wort „Pate“ eingebürgert, bis in die 1960er Jahre waren die Bezeichnungen „Taufdaed“ und „Taufdola“ gängig. Bezüglich der Patenschaft war es einst üblich, daß zwei Paare, die kurz hintereinander heirateten, miteinander vereinbarten, daß sie diese Aufgabe bei Kindstaufen übernahmen. Die beiden Familien waren sich - laut Volksmund - gegenseitig „Gvaterleut“ (Mundart: „Gvoderleit“). Die Vereinbarung bedeutete, daß man gegenseitig bei allen Kindern diesen Ehrendienst übernahm.

Die Taufe fand bis in unser Jahrhundert in der Regel am Tag nach der Geburt statt. Angesichts der hohen Kindersterblichkeit und der Kirchenlehre, die Ungetaufte von der Seligkeit des Himmels - in früherer Zeit sogar vom Begräbnis in geweihter Erde - ausschloß, war diese „Sicherheit“ für die Eltern wichtig oder zumindest schlossen sie sich dem Brauchtum und der religiösen Gepflogenheit an. In den 1950er Jahren wurde es zur Regel, daß Kinder vier bis sieben Tage nach der Geburt getauft wurden; die nun häufiger werdenden Klinikgeburten bedeuteten, daß die Kinder nicht mehr durch den Ortspfarrer, sondern in der Krankenhauskapelle (auch in Rain) getauft wurden. Gegen Ende der 1960er Jahren vollzog sich ein tiefgreifender Wandel bei der Taufe. Alle Kinder kamen nun im Krankenhaus zur Welt, die Taufen werden nun erheblich später, meist nach fünf bis acht Wochen, gespendet. Die „Gvaterleut“ gibt es im historischen Sinn längst nicht mehr, den Patendienst übernahmen schon bei der heutigen Großeltern-Generation abwechselnd die Geschwister der Eltern, wobei Schwestern der Mutter meist den Vorzug erhielten.

Bei der Taufe am Tag oder der Woche nach der Geburt konnte die Mutter nicht dabei sein. Der Pfarrer vollzog sie in Anwesenheit von Vater und den „Gvaterleuten“, mitunter noch weiterer enger Familienmitglieder. Kleine Geschwister waren jedoch ausgeschlossen. Das veränderte Brauchtum bezog die Mütter ab den 1960er Jahren, wie es ihnen auch gebührt, in die Tauffeier ein. Noch zu Zeiten von Pfarrer Strobl wurde die Mutter, wenn sie erstmals nach der Geburt wieder die Kirche besuchte, an der Kirchentür gesegnet.

Wie sah die Vereinbarung als „Gvaterleut“ aus? Als 1908 sowohl Anton und Theres Händler wie Josef und Franziska Riehl heirateten, sagten sie sich die Übernahme dieser Aufgabe gegenseitig zu - „Pestbauerns“ und „Baders“ wurden somit „Gvaterleut“. Die Erstgeborenen erhielten meist die Vornamen jeweils vom Taufpaten: Therese Riehl (Ansbacher) und Anton Riehl auf der einen Seite, Franziska Händler auf der anderen Seite. Beim Händler wurde die zweiter Tochter erst nach der Mutter benannt, beim „Bader“ erhielt der zweite Sohn, aber erst die vierte Tochter den Vornamen von Vater beziehungsweise Mutter. Als beim „Pestbauer“ nach dem Tod von Anton Händler 1919 nochmals geheiratet wurde, übernahm der „eingeheiratete“ neue Hofbesitzer Georg Straßl das Patenamt - ihm wurde 1922 Georg Riehl „nachgetauft“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten „Erstgeborenen“ nach den Eltern benannt, in jüngster Zeit erhalten die Kinder selten die Vornamen von Eltern oder Paten.

Der Brauch der „Gvaterleut“ ist schon im 19. Jahrhundert feststellbar: Beim „Bocher“ Stepperger (26. Februar 1840) und „Schleicher“ Wagner (12. Mai 1840) wurde kurz hintereinander geheiratet. Offenbar vereinbarte man auch hier, sich gegenseitig „Gvaterleut“ zu machen. Beim „Bocher“ hießen die Erstgeborenen entsprechend Erasmus und Maria Anna Stepperger. Das Ehepaar Wagner hatte keine Kinder - die Frau war bei der Heirat schon 47 Jahre alt.

Die Paten mußten nicht unbedingt aus der gleichen Pfarrei kommen. Beim Holzmüller Stephan Maier junior vereinbarte man die gegenseitige Patenschaft mit der Schwägerin der Frau, die etwa zeitgleich - ebenfalls aus Holzkirchen - nach Schönleiten heiratete. Beim „Heinrichkarl“ vereinbarte man die Patenschaft 1891 - bei einem zufälligen Treffen im Notariat Rain - mit dem „Müllerbauern“ von Wiesenbach, damit die „Gvaterleut“ ungefähr vom gleichen Stand waren, berichtete Anna Koller („Schiele“, geb. Strobl).

Die „Gvaterleut“ brachten bei einer Geburt als Geschenk in der Regel eine Stärkung für die Mutter - Eßbares, das man sich ansonsten wegen des Preises selten leistete, meist auch eine Flasche Wein. Säuglingsausstattung als Geschenke waren vor dem Zweiten Weltkrieg eher selten.

Bis ins 18. Jahrhundert lief die Firmung völlig anders ab als heute. Da der Oberhirte durch die begrenzten Reisemöglichkeiten, aber auch durch Kriegseinwirkungen oder Unglückszeiten (Seuchen), nur sehr selten in die Landkapitel kam, wurden oft viele Jahrgänge zusammen gefirmt. Nicht selten kam es vor, daß man mit diesem Sakrament so bis ins Erwachsenenalter warten mußte. Hunderte von Firmlingen kamen für die Feier bei diesen langen Intervallen mitunter zusammen. Am 8. Juli 1854 gab der Pfarrer von der Kanzel bekannt: „Am Samstag ½ 8 Uhr erteilt unser Hochwürdigster Bischof in Pöttmes das Sakrament der Firmung, es haben sohin die Firmlinge mit ihren Paten bis 7 Uhr in Pöttmes sich einzufinden. Am Donnerstag haben die Firmlinge zu beichten, am Freitag zu kommunizieren.“

Der Firmpate, im Volksmund bis vor wenigen Jahren „Firmdaed“ genannt, war bis in die 1970er Jahre einziger Begleiter des Firmlings; die Eltern waren bei dieser Feier nicht dabei. Die Firmung fand in in den vergangenen Jahrzehnten meistens in Rain, dem Sitz des Dekanats, statt; lediglich während der großen Kirchenrenovierung 1970 - 1974 wich man in die ehemalige Klosterkirche Niederschönenfeld aus. Der Firmpate schenkte dem Firmling eine goldene Uhr - die erste eigene Uhr im Leben des etwa zwölfjährigen Kindes. Ersatzweise gab es in der Zeit vor 1914 manchmal auch den entsprechenden Geldbetrag für den Firmling, etwa 20 M, als Geschenk. Nach dem Firmgottesdienst, den zumeist einer der Augsburger Weihbischöfe zelebrierte, verteilten sich die Teilnehmer der Feier auf die damals noch zahlreicheren Gaststätten in der Hauptstraße und angrenzenden Bereichen. Nachmittags war Dankandacht, die man wieder gemeinsam besuchte, ein kleiner Spaziergang und der Kauf eines weiteren kleinen Geschenks (Import-Obst und Süßigkeiten) schloß die Firmung in den 1960er Jahren üblicherweise ab.

(zwei Firmbilder)

Jetzt ist man bei den Firmungen zum einjährigen Rhythmus (sechste Klasse) übergegangen. Bei den Firmorten wird innerhalb der verbundenen Pfarreien (Bayerdilling, Gempfing und Holzheim) abgewechselt. Dabei sind bei dieser Feier jetzt üblicherweise neben dem Paten auch die Eltern.

Hochzeit

Vom Brautpaar Johann Kammerer und Josepha Jaumann, beide aus Wächtering, ist noch die Gästeliste vom 15. Juni 1886 erhalten. „Gewiesen“, also geschenkt, hatten, und zwar aufgeteilt nach Verwandtschaft von Braut und „Hochzeiter“, teilweise mit Hausnamen angegeben:

Brauttisch
1 Michael Steinbühler 10,00 M
2 Franziska Sedlmeir, Nächste 10,00 M
3 Veronika Engelniederhammer, Etting 7,00 M
4 Josehpa Steinbühler von Wächtering 7,00 M
5 Josepha Kammerer v. Wächtering 6,50 M
6 J. Kammerer von Wallerdorf 8,00 M
7 Mairla v. Reicherstein 7,00 M
8 Strobl von Wächtering 6,00 M
9 Alt Wirt von Pessenburgheim 6,00 M
10 Wünsch von Nördling 6,00 M
11 Braut 0,00 M

Hochzeitertisch
1. Thaddaus Engelniederhammer, Etting 9,00 M
2. Schreiner von Berg 8,00 M
3. Graser von Wächtering 6,40 M
4. Steph. Mair, Holzmühl 6,50 M
5. Schmid v. Wächtering 6,00 M
6. Würfl Mar. Anna v. Rain 10,00 M
7. Wirt von Wächtering 7,00 M
8. Hochzeiter 0,00 M
Totalsumme 126,40 M

Der Begriff „Nächste“ hat sich bis heute gehalten und ist heute bei sog. „Bauernhochzeiten“ noch üblich. Meistens übernehmen die Funktionen jüngere Schwestern von Braut oder Bräutigam oder Cousinen. Johann Kammerer heiratete 1886 zum zweiten Mal, aus der ersten Ehe mit Karolina Bollinger aus Bayerdilling hatte er keine Kinder. Er war bei der Hochzeit 41 Jahre alt, seine Braut erst knapp 25. In zweiter Ehe mit Josepha Jaumann gab es elf Sprößlinge, von denen allerdings sechs im ersten Lebensjahr verstarben. Einer der drei „überlebenden“ Söhne ist im Ersten Weltkrieg gefallen. Kammerer war zum Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung Bürgermeister von Wächtering.

Als Hochzeitslader war einst Thomas Stiglmair (1874-1957) und dann dessen Sohn (1907-1994) tätig. Ihre Aufgaben waren die Ladung der Gäste (ein Brauch, der früher mitunter weite Gänge mit sich brachte und zwischenzeitlich völlig abgekommen ist), dann die Organisation des eigentlichen Festtages (von der Begrüßung der Gäste, über das Abschiednehmen der Brautleute vom Elternhaus, den Kirchenzug bis zum Festmahl und „Aussingen“ der Gäste) und schließlich die Erstellung des Brautbriefes.

Am 9. Juni 1908 war Thomas Stiglmair als Hochzeitslader bei seinem jüngeren Bruder Paul tätig und erstellte ein 57 Personen umfassendes Gästeverzeichnis: für damalige Verhältnisse eine größere Hochzeit. Die Gesellschaft gliederte sich in:

12 Gäste am Brauttisch, darunter Brautführer Johann Stöckl (in der Regel hatte, wie hier, die Funktion ein Bruder) und zwei „Nächste“,

11 Gäste am 2. Brauttisch,

11 Gäste am Hochzeitertisch, darunter die beiden Ehrenväter (für den verstorbenen Vater des Paul übernahm die Funktion Anwesensübergeber und Schwager Georg Weiß),

23 Gäste an den weiteren drei Tischen des Hochzeiters.

Für die Gäste von auswärts verwendet Stiglmair fast ausschließlich die Familiennamen, für die Bayerdillinger dagegen fast nur die Hausnamen.

Die Gäste gaben dem Brautpaar zwischen 7 und 10 Mark, lediglich Ehrenvater Johann Stöckl (20 M), Brautführer (15 M) und die beiden „Nächste“ (12 M) gaben mehr. Insgesamt kamen 519 Mark zusammen.

Wie einst gefeiert wurde, zeigt die „Rechnung für die Brautleute Reißner u. Kammerer von Sedlmair, Schwarzwirt“ anläßlich der Hochzeit am 14. Februar 1928:

36 Hochzeitsgäste á 8,50 M 306,00 M
6 Fuhrleute á 2,50 M 15,00 M
2 Näherin u. Hochzeitlader Mittag und Abends 12,00 M
Chorregent Mahl 8,50 M, 2 Zigg. 10 Zigaretten 9,30 M
Hauptlehrer Zech 4,30 M
Chaffeur 1,60 M
Heimgeholt auf Mittag 10 paar Würst u. 1,50 M 4,50 M
Abends 17 l. Bier 8,00 M
10 Ziggarren 1,70 M
1 Flaschen Wein und Kuchen 5,00 M
und Abends 7 Kaffee und Kuchen 3,50 M
Bier im Faß 80 l x 0,38 30,40 M
Blut- und Leberwürst 1,00 M
von Weber 1,60 M
Summe 405,40 M

(Im Buch folgen nun 14 Bilder mit Erläuterung.)

Silberhochzeit

(2 Bilder mit Erläuterung.)

348 - Berger Hermann, 120 x 70

Armenfürsorge früher

Georg Ziegler, genannt „Käschper“, stammte aus einer Wächteringer Webersfamilie, die einst das Anwesen Nummer 29 besaß. Geboren war er 1877. Er war Maurer und ging 20 Jahre „auf die Walz“. Im Alter verarmt, mußten ihn die Wächteringer reihum täglich verköstigen, er ging zum „Umessen“ in das jeweilige Haus. Er war das letzte Pfarreimitglied, das auf diesem Weg versorgt wurde. Nach der Betriebsgröße war Ziegler bei den größeren Bauern öfter zu Gast als bei den kleinen Anwesen. Ansonsten war er Einsiedler und einer der wenigen Nicht-Kirchgänger, vor allem wegen seiner Differenzen mit dem Pfarrer. Allerdings schloß er sich den Trauergemeinden bei der Überführung eines verstorbenen Wächteringers an und betete bis zum Friedhofstor mit. Einsam starb er am 7. Juni 1952 im Gemeindehaus Wächtering (heutiges Grundstück Medele), beerdigt wurde er in der Nordwestecke des Friedhofs in einem „Armengrab“.

1901 wurde vom Gemeinderat Bayerdilling für das „Umessen“ des Ortsarmen ein Schlüssel von 1 Tag Verpflegung pro 10 M Gemeindesteuer festgelegt. War der zu Versorgende entsprechend der vorgegebenen Liste „durch“, begann der Turnus von Neuem. Das „Umessen“ erscheint im Gemeinderatsprotokoll erneut am 25. Januar 1932. Am 21. September 1932 ist von der Unterstützung für drei Arbeitslose in Bayerdilling die Rede; die große Quote wie im restlichen Reich gab es auf dem Land nicht, denn wer im Dorf nicht untergekommen war, war größtenteils bereits in die Stadt abgewandert. Aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg ist mündlich überliefert, daß der „Umesser“ nach seinen Möglichkeiten von dem jeweiligen Gastgeber zur Arbeit herangezogen werden konnte. Der damalige Ortsarme konnte sehr gut Besenbinden. Beim „Schiele“, einem kleineren Anwesen, mußte man ihn jährlich einen Tag verköstigen. Ersatzweise konnte man den Armen in bar mit 60 Pfennnig je Tag entschädigen. Daß die Kost und der Empfang für den Fürsorgeberechtigten in den einzelnen Häusern höchst unterschiedlich ausgefallen ist, versteht sich von selbst - ein leichtes Leben war es sicher nicht.

Vom Sterben

Bei Todesfällen wurde wie heute gleich „Schiedung“ geläutet. Trat der Tod in der Nacht ein, wurden die Scheidungsgebete nach der Morgenmesse verrichtet, schrieb Pfarrer Kaiser nieder. Die Leute des Dorfes und die Verwandten beteten jeden Abend im Hause des Toten einen Rosenkranz, was bei Platzmangel oft eine Last war. Pfarrer Kaiser widersetzte sich Versuchen einer Verlegung in die Kirche. Am Beerdigungstag wurde der Verstorbene von Pfarrer, Mesner und Ministranten (bis 1919 auch der Lehrer) sowie dem Volk vom Sterbehaus auf den Friedhof begleitet, wo in der Regel um 9 Uhr die Beerdigung war. Die Trauerzüge aus den Filialen wurden bei der Linde neben dem Mesnerhaus vom Pfarrer empfangen. Das Grablied war selten, bei Erwachsenen hielt Pfarrer Kaiser in der Regel eine Grabrede. Beim Requiem wurde „Opfer“ gegangen - früher um den Hochaltar, seit Pfarrer Kaiser bis zur Kommunionbank. Nach dem Gottesdienst beteten die Leute im Haus noch einen Rosenkranz im Zusammenhang mit dem „Leichenschmaus“, dem häuslichen Ausspeisen der Verwandten. Pfarrer Strobl erlaubte die Verlegung in die Kirche, „weil die Leute daheim den Rosenkranz sonst nicht mehr beten“. Nach den Beerdigungen wurden herkömmlich vier Wochenmessen gelesen, bei den Wächteringern möglichst die beiden ersten in der Filialkirche. Bei Todesfällen von Kindern, damals keine Seltenheit, erfolgte die Abholung am Friedhofseingang. Alle Kinder unter einem Jahr und alle unehelichen Kinder wurden im Kinderabteil (östlich der Kirche) beerdigt; eheliche Kinder über einem Jahr auf Wunsch der Eltern im Familiengrab.

(Im Buch: 3 Bilder.)

Kurioses

Nikolaus Kigele von Holzen (Holzheim) hatte seine Kühe verloren und fand sie in „Elend“ wieder. Bald darauf ging er - es war um 1704 - um sein Versprechen zu vollziehen, nach Bayerdilling zu dem Bildhauer namens Michael Nieß und hat ein Marienbild von Holz schnitzen und dann durch den Maler fassen lassen (NK 1961 - Hofmark Baar). Der Name Nieß ist zwar während des Dreißigjährigen Krieges noch nicht in Bayerdilling genannt, jedoch erscheint er mehrfach in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts im Dorf.

Beim Sperl verdankt man die direkte Verwandtschaft zu den Besitzern von 1754 einer „Liebschaft“. Die drei Weiler-Kinder (um 1780 geboren) blieben unverheiratet, doch der Johann Michael (geboren 1778) zeugte im fortgeschrittenen Alter eine nichteheliche Tochter (1827), die seinen Namen erhielt und Hofnachfolgerin wurde. wo beziehungsweise ab wann diese Anastasia beim Vater aufgewachsen ist, läßt sich nicht feststellen.

Beim Moosbauern in Wächtering gab es 1853 und 1859 zweimal Zwillinge. Deren Vater hatte von Tödting eingeheiratet, wo es eine Generation später, 1877, ebenfalls Zwillinge gab, die beide Priester wurden. Von den beiden Moosbauern-Zwillingen starben die beiden Mädchen (1859) und einer der Buben (1853), allerdings jeweils erst mit einigen Monaten. Der andere Bube übernahm 1882 den Hof - ihm haben wir vermutlich das älteste Schulbild aus den 1860er Jahren zu verdanken.

Als die künftige „Oberschmiedin“ Rosa Golling, geb. 1881, im Jahr 1902 aus Hollenbach zur Hochzeit abgeholt wurde, schlief der Stangenreiter (= Bezeichnung für einen jüngeren Knecht) auf dem Kutschbock ein. Ihm sind die Pferdezügel aus der Hand gefallen und in die Radspeichen geraten. Das Fuhrwerk blockierte und stellte sich quer, es passierte nichts Schlimmeres. Hochzeitslader Thomas Stiglmair, geb. 1874, wies den Stangenreiter zurecht. Die angehende Schmiedin meinte nur „hät's mi nokeit, na hätt i net auf Bayerdilling braucht“. Rosa Golling hatte von 1903 bis 1921 insgesamt 16 Kinder, fast jedes Jahr eines. Acht sind in den ersten zwei Lebensjahren gestorben, ein Sohn im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Es ist nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich vorgekommen, die „Trennung von Tisch und Bett“. Zwar gab es keine kirchliche Ehescheidung, doch die Trennung bei schweren Zerwürfnissen konnte kirchlich sanktioniert werden. So ging die Sofia Stemmer, die im Sommer 1925 beim früheren „Hillebrand“ Wünsch eingeheiratet hatte, im Folgejahr zurück auf das elterliche Anwesen, die Kopfmühle, wo sie auch starb.

Ein sonderbares Schicksal widerfuhr Leonhard Landes (später umbenannt „Weidinger“), nichtehelich 1926 geboren. Er wuchs zunächst bei den Großeltern („Schwabpeter“) auf, die Mutter heiratete 1931 einen anderen Mann und verstarb bereits 1933. Als er durch den Tod des unverheirateten Vaters, eines niederbayerischen Bauern, wenige Jahre später Vollwaise wurde, holten ihn die ebenfalls ledigen Tanten zur Versorgung (und anstatt Unterhaltszahlungen) nach Doblham in Niederbayern. Als Schulkind kam Leonhard Landes zu ihm völlig unbekannten Leuten. Leonhard Landes wurde nach einigen Jahren von der Tante adoptiert und auch Hoferbe. Den väterlichen Hof betrieb er mit seiner Frau weiter. Gestorben ist Leonhard Landes-Weidinger 1982.

Über ein Ereignis am Sonntag, 23. Oktober 1910 berichtete das Rainer Wochenblatt unter dem Titel „Vorsicht bei Verwendung von vergiftetem Mäusehaber“. Ein Bayerdillinger Bauer habe beim Nachbarn, im Schnupftuch eingebunden, vergifteten Mäusehafer geholt. Auf der Dorfstraße verlor der Mann, ohne es zu merken, fast das ganze Gift aus seinem Tuch. Eine Gänseschar machte sich freßlustig über das vergiftete Futter her und vertilgte alles. Alle 14 Gänse gingen zu Grunde.

Die Handwerker gaben in früheren Zeiten ihre Jahresrechnungen zwischen Weihnachten und Dreikönig persönlich bei den einzelnen Bauern ab. So gingen der Oberschmied und der Bollingerwagner vor vielen Jahrzehnten gemeinsam nach Strauppen. Vorher hatte der Schmied sich angekündigt und gemeint, der Strauppner könne bei dieser Gelegenheit auftischen. Den beiden Handwerkern wurde also ein „Hasenbraten“ serviert. Als die beiden ein Gutteil gegessen hatten, begannen die Dienstboten zu Miauen. Da wurde dem Schmied umd dem Wagner klar, daß der Bauer - dem der Schalk im Nacken saß - ihnen eine Katze aufgetischt hatte.