Komputistik

Quelle: W. Bergmann, unter http://www.uni-koeln.de/~ahz26/edition/okomp.htm
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Komputistik, zykl. Berechnung des Jahreskalenders, in der Regel bezogen auf die beweglichen Kirchenfeste in Abhängigkeit von Ostern (->Osterfestberechnung; ->Osterstreit). Eingebunden in die Komputistik werden häufig Berechnungen des Weltalters nach den chronol. Angaben der Bibel (->Chronologie; ->Ära) sowie des historischen Termins der Kreuzigung und der Auferstehung Christi sowie annalistische Nachrichten. Es lassen sich im wesentlichen drei Phasen feststellen: 1. In der Spätantike und im frühen Mittelalter ringt die Komputistik um die Aufstellung geeigneter Methoden zur Vorausberechnung des Ostertermins, unabhängig von der astronomischen Definition (1. Sonntag nach dem Frühlingsvollmond). Erst mit ->Beda werden die methodischen Grundlagen festgeschrieben und setzen sich im Laufe des 9. Jahrhunderts im Abendland durch. 2. Danach wird die Komputistik zum Unterrichtsgegenstand, da jeder Kleriker in der Lage sein sollte, den chronologischen ->Festkalender für die Jahre im voraus zu erstellen (->computus). Eine Vielzahl von Abhandlungen dokumentiert in dieser Zeit die Bedeutung der Komputistik. 3. Mit dem Eindringen der arabischen Astronomie in das Quadrivium (->Artes liberales) beginnt man, die astronomische Bedingungen zu untersuchen (Feststellung des sogenannten Äquinoktiums und des Mondumlaufs) und Komputistik und Kalenderfragen miteinander zu verschmelzen. Den Streit, ob die astronomisch bedingte Definition des Ostertermins oder der kalender ge%auml;ndert werden sollten, beendete Gregor XIII. 1582 durch die kalenderreform (->Gregorianischer kalender). Ihren Höhepunkt und ihren Abschluß findet die mittelalterliche Komputistik mit J.C. Scaligers Entwicklung der Julianischen Periode, die die computistischen Elemente des 28jährigen Sonnenzirkels und des 19jährigen Mondzirkels mit der ->Indiktion zu einem Zyklus von 7980 Jahren (=2914695 tagen) verbindet, der auch heute noch in der Kalendariographie und Astronomie gebräuchlich ist.
Berechnungsgrundlagen waren: der Julianische ->Kalender, die ->Epakten (zyklische Berechnung des Mondalters am 22. März) - äquivalent dazu die Goldenen Zahlen - und die Concurenten (Wochentag des 24. März), später auch der Sonntagsbuchstabe sowie die Definition des Zeitraums, in den der Ostertermin fallen konnte (claves terminorum). Das Konzil v. ->Nikaia (325) beschloß eine allgemeine Definition des Ostertermins, bestimmte aber keine verbindliche Berechnungsgrundlage. Deshalb kam es auch weiterhin bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts zu unterschiedlichen Auslegungen und Berechnungen. Die Alexandriner bestimmten den 21. März als Frühlingsäquinoktium und die Ostergrenzen 22. März-25. April (->Athanasius, Osterbriefe; Ostertafel des Anatolius); die römische Kirche hingegen den 25. März-21. April (supputatio Romana). Während Rom die Osterfeier nach einem 84jährigen Zyklus auf der Basis eines 12jährigen Mondzyklus berechnete und als Ostertag auch den Tag des Ostervollmondes (luna XIV; Quartodecimaner) zuließ, legten die Alexandriner den 19jährigen Mondzyklus des Meton zugrunde und feierten Ostern zw. luna XV und XXI. Eine Vielzahl von Schriften zur Komputistik boten unterschiedliche zyklische Berechnungen an (Dionysius Alexandrinus, ->Theophilos, ->Kyrillos, ->Anianus, ->Hippolytus, ->Ambrosius, der ->Chronograph von 354 - der Laterculus des Augustalis, Zeitzer Ostertafel). Erst mit der Komputistik des ->Victorius von Aquitanien setzten sich der 19x28=532jährige Zyklus und die alexandrinische Ostergrenze als Berechnungsgrundlage durch, wenn dieser auch noch für die extremen Osterdaten jeweils zwei Termine angibt. Er zählt die Jahre nach dem Jahr der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn, das er auf das Jahr 28 n. Chr. legt. ->Dionysius Exiguus setzt endgültig den 532jährigen Zyklus und die Ostergrenzen 22. März-25. April durch. Sein Computus zählt erstmalig die Jahre nach Christi Geburt (Inkarnationsära) und gibt eindeutige Regeln zur Berechnung (argumenta de titulis pascalis Aegyptorum).
Beda gelingt es, sowohl in der angelsächsischen und irischen Kirche, als auch im 9. Jahrhundert im fränkischen Reich den von Rom akzeptierten 532jährigen Zyklus des Dionysius Exiguus endgültig durchzusetzen und für die gesamte römische Kirche verbindlich zu machen. Die komputistischen Schriften des 9.-13. Jahrhunderts beruhen sämtlich auf diesem Fundament und bieten - wenn überhaupt - lediglich in Einzelheiten operative Verbesserungen (->Hrabanus Maurus, ->Notker Labeo, ->Dicuil, ->Helpericus, ->Abbo von Fleury, Wichram von St. Gallen). Die von Beda bis zum Jahre 1063 gefertigte Ostertafel und ihre Fortschreibungen bieten vielfach Raum für annalistische Einträge, die konsequente Nutzung der Inkarnationsära führt zu ihrer allgemeinen Verbreitung und ihrer Dominanz in der entstehenden Weltchronistik. Bedas Schriften bilden die Grundlage für das einheitliche Berechnungsschema des Osterfestes; darüber hinaus sind seine kalendariographischen Festlegungen (Jahresanfang 1. Januar, Namen von Monaten und Tagen, Korrelation von ären) für das Mittelalter und die Neuzeit bestimmend geblieben. Schon seit dem 9. Jahrhundert finden komputistische Schriften Eingang in Kalendarien, so sind sie z.B. im Kalendarium Karls des Großen oder im "Hortus deliciarum" (->Herrad v. Landsberg) im Zusammenhang mit Ostertafeln, Heiligenkalendern, Beschreibungen des Zodiakus o.ä. enthalten.
Seit dem 13. Jahrhundert wendet sich die Komputistik mehr und mehr dem Aufzeigen der Fehlerhaftigkeit des Julianischen Kalenders zu (Verschiebung des Frühlingsäquinoktiums, zyklische Berechnung der Mondphasen). Schon die Computi des ->Hermann von Reichenau (Regulae in Computum, De defectu solis et lunae), des ->Robert Grossetestes (Canon in Kalendarium, Computus, Computus correctorius, Computus minor) und des Johannes de Saxona weisen Veränderungsvorschläge für die Regulierung des Julianischen Jahres und/oder des Mondzyklusses auf. ->Roger Bacon fordert bereits die Erneuerung der komputistischen Berechnungsgrundlagen, indem er, den Vorschlägen Robert Grossetestes folgend, den Fehler des Julianischen Kalenders von 1 tag in 125 jahren angibt und anstelle der unzureichenden zyklischen Berechnung der Mondphasen eine astronomische Berechnung verlangt. Diese Kritik führt im 14. jahrhundert zu einer ersten Diskussion über eine Reformierung der Osterfestberechnung und des Kalenders (->Johannes de Muris, Firminus de Bellavalle, Nikephoros ->Gregoras, ->Isaak Argyros). Auf den Konzilien des 15. und 16. Jahrhunderts werden verschiedene Reformvorschläge diskutiert (->Nikolaus von Kues), ohne daß es zu einer Entscheidung kommt. Johannes ->Regiomontanus verzichtet in seiner komputistischen Schrift (1474) gänzlich auf die zyklischen Berechnungsgrundlagen, benutzt die tatsächlichen astronomischen Daten der Neu- und Vollmonde und zeigt daran die Fehler der traditionellen Komputistik auf. Auf der Grundlage des Vorschlags von A. Lilius kommt es zur Gregorianischen Kalenderreform, die die zyklische Berechnung beibehält und den Kalender diesen Erfordernissen angleicht. Die Berechnung des Ostertermins durch die Kurie erfolgt bis heute auf komputistischer Grundlage.

Link zur Kalenderberechnung der Salesianer

Unser Kalender - ein Wandelgang durch die Zeiten, von Hans-G. Mekelburg

09.11.2008  Adalbert Riehl